Toespraak EP-voorzitter Schulz: "Europa's weg uit de crisis" (de)

Met dank overgenomen van Voorzitter Europees Parlement (EP-voorzitter) i, gepubliceerd op vrijdag 22 november 2013.

Sehr geehrter Herr Kister,

Lieber Herr Krach,

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen herzlich für die Einladung zum Führungstreffen Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung. Ich freue mich sehr bei Ihnen zu sein. Man hat mich gebeten, über Europas Weg aus der Krise zu sprechen.

Sie erwarten jetzt wahrscheinlich, dass ich Ihnen erzähle, was in den fünf Jahren seit der Lehman-Pleite passierte, wie sich das Beben an der Wall Street durch die enge Vernetzung der Finanzmärkte zu einer globalen Wirtschaftskrise ausweitete, wie ein falsches Krisenmanagement die fatale Verquickung von Bankschulden und Staatsschulden schuf, wie der Euro ins Fadenkreuz der Spekulanten geriet , wie in weiten Teilen Europas eine wirtschaftliche Abwärtsspirale einsetzte und die Arbeitslosenzahlen explodierten.

Sie erwarten möglicherweise auch, dass ich darüber spreche, was Europa zur Krisenbewältigung unternommen hat. Und das war enorm: Es wurden Rettungsschirme von mehr als 700 Milliarden Euro gespannt, um Staaten und Banken vor dem Kollaps zu bewahren. Die wirtschaftspolitische Koordinierung wurde verbessert, die Art und Weise wie Regierungen zusammenarbeiten, um Haushalte zu koordinieren und Volkswirtschaften wettbewerbsfähiger zu machen. Und natürlich der Befreiungsschlag von EZB-Präsident Mario Draghi i, "alles zu tun", um den Euro zu retten.

Vielleicht erwarten Sie auch, dass ich Ihnen diese ganzen eurokratischen Wortungetüme um die Ohren haue: das Six-Pack und das Two-Pack, den ESM und den SSM, von BEGPs und NRPs, von SCPs und AMRs. Mal ehrlich wer soll das denn noch verstehen? Da geht es ja nicht mehr um verständliche Lösungsansätze für die realen Probleme von Menschen! Wenn wir das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen wollen, dann müssen wir auch mal wieder verständliche Politik machen!

Aus all diesen Punkten besteht die klassisch ökonomische Betrachtung von "Europas Weg aus der Krise." So sieht Europa aus, wenn wir es durch die Schablonen der Haushaltsdefizite, der Lohnstückkosten, der Zinssätze betrachten.

Aber was übersehen wir dabei? Welche blinden Flecken hat dieser rein ökonomische Blick auf Europa, an den wir uns schon so gewöhnt haben?

Was ist, wenn die Entfremdung der Menschen von der EU gefährlicher für Europa ist als die Eurokrise?

Mit welchen Folgekosten beziffert man eine Vertrauenskrise?

Kann Europa aus der Krise herauskommen, wenn die Regierungen den Sparpaketen zustimmen, die Menschen aber auf der Straße gegen die "Spardiktate" aus Brüssel und vermeintlich Berlin protestieren?

Kann Europa aus der Krise herauskommen, wenn seine Jugend eine verlorene Generation zu werden droht; eine Generation, die ihr Vertrauen in eine Politik verliert, die zwar Banken mit unvorstellbaren Summen rettet, dabei aber die Zukunft der Jugend aufs Spiel setzt?

Kann Europa aus der Krise herauskommen, wenn Menschen, das Gefühl haben, dass die Folgen der Finanzkrise von einem technokratischen Brüssel und einer sogenannten Troika ausgerechnet den Schwächsten aufgebürdet werden?

Wie beziffert man Folgeschäden eine Krise, wie den Aufstieg extremistischer Parteien oder den Vertrauensverlust in Institutionen, durch den die Demokratien ausgehöhlt werden?

All dies entgeht der ökonomischen Perspektive.

Deshalb möchte ich heute zwar über drei Wirtschaftsthemen sprechen - über die makroökonomischen Ungleichgewichte, über die Kreditklemme, und über die Bankenunion - dabei aber die wirtschaftliche durch eine politische Perspektive und den nationalen durch einen europäischen Blick ersetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Finanzkrise war "unvorstellbar" und "global" und damit, wie Ulrich Beck schreibt "eines jener Weltereignisse, welche die immer engere Vernetzung der Handlungs- und Lebensräume erfahrbar machen und nicht länger mit den Instrumenten und Kategorien des nationalstaatlichen Denkens und Handelns erfasst werden können."

Die Krise hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir de facto bereits eine europäische Innenpolitik haben: Es hat sich das diffuse Gefühl eingeschlichen, dass die Haushaltsdefizite eines anderen Landes schon Auswirkungen auf unsere Rente haben könnten; die Gewissheit, dass uns junge Arbeitslose in anderen Regionen Europas nicht egal sein dürfen; das Wissen, dass Wahlen im Nachbarland auch unser Leben beeinflussen.

Wir haben verstanden, dass eine gemeinsame Währung Interdependenzen schafft, die einer größeren wirtschaftspolitischen Koordinierung bedürfen.

Wir haben aber nicht verstanden, dass aus einer de facto europäischen Innenpolitik folgt, dass wir auch danach streben müssen, nicht nur nationale Interessen, sondern ein europäisches Gemeinwohl zu maximieren.

Das europäische Gemeinwohl ergibt sich aber eben nicht aus der Addition von 28 nationalen Interessen, wie manche Regierungschefs im Europäischen Rat uns glauben machen wollen.

Wenn jeder nur seine nationalen Interessen maximiert, kommen am Ende Ergebnisse raus, die niemandem wirklich nutzen.

Wenn die Probleme sich europäisiert haben, die Lösungsansätze und Instrumente aber national bleiben - das muss schief gehen.

Globale Finanzmärkte lassen sich nicht national kontrollieren.

Bankrotte Großbanken lassen sich nicht mehr national abwickeln.

Sehr geehrte Damen und Herren,

in der vergangenen Woche hat die Debatte um die Leistungsbilanzüberschüsse wieder zu haushohen Empörungswellen geführt.

Auf der einen Seite besorgte internationale Politiker und Institutionen - Barack Obama, der IWF und Frau Lagarde, die Europäische Kommission- auf der anderen Seite die empörten nationalen Reaktionen.

Und dann will Brüssel auch noch Deutschland zwingen weniger zu exportieren, so lautet der Vorwurf. Niemand, wirklich niemand hat von Deutschland gefordert, die Exporte zu drosseln - das geht ja auch gar nicht! Wir leben ja nicht in einer Planwirtschaft! Es ist schon ironisch, dass ausgerechnet jene, die auf der knallharten Durchsetzung der Regeln pochen wenn es andere trifft, sich jetzt empören, dass die Barroso-Kommission eine Überprüfung der deutschen Bilanz einleitet - und damit Regeln anwendet, denen Deutschland ausdrücklich zugestimmt hat!

Ja, es hat sich ein selbstgerechter Ton eingeschlichen in die Debatte, ökonomische Fragen werden moralisiert: Schulden vor allem als Schuld gesehen; leichtfertig wird von Schlendrian und Schlamperei gesprochen, andere vor allem belehrt.

In der interdependenten Welt, in der wir leben, zumal in einem gemeinsamen Währungsraum, sind Handelsbilanzen jedoch komplizierter als die Tabelle bei EM-Qualifikation.

Der hohe Leistungsbilanzüberschuss ist eben kein unzweideutiges Zeichen deutscher Wirtschaftskraft. Ja es ist ein Zeichen von Wettbewerbsfähigkeit - aber auch ein Zeichen von schwacher Binnennachfrage und schwachen Investitionen. Beides zu steigern wäre gut für Deutschland - und gut für Europa.

Wolfgang Schäuble hat bereits vor mehr einem Jahr gesagt: "Lohnsteigerungen hierzulande tragen auch zum Abbau von Ungleichgewichten innerhalb Europas bei."

Steigt der deutsche Konsum durch eine Erhöhung der Einkommen, steigt die Nachfrage nach Gütern im eigenen Land aber auch nach Gütern aus anderen EU-Ländern - das käme der wirtschaftlichen Erholung in Südeuropa zugute.

Derzeit exportiert Deutschland aber nicht nur Güter sondern vor allem Geld ins Ausland - auch das hat in der Vergangenheit zu Immobilienblasen und Verschuldung beigetragen - und dieses Kapital fehlt in Deutschland für Investitionen. Dieses Jahr fallen die Investitionen Jahr auf einen Tiefpunkt. Auch die staatlichen Investitionen in Infrastruktur, Forschung und die digitale Agenda sind zu gering, um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern.

Das muss in Angriff genommen werden. Gezielte Investitionen sind auch kurzfristig wichtig, um für Aufschwung sorgen - besonders im Bereich der Infrastruktur, der digitalen Wirtschaft sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, also dort wo auch die meisten Arbeitsplätze entstehen.

Auch Strukturreformen sind in ganz Europa weiterhin grundlegend, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Ja, das tut weh und ist mühsam, weil die harten Opfer jetzt zu erbringen sind, die Früchte aber erst später geerntet werden. Aber alle müssen hier mehr machen.

Leistungsbilanzüberschüsse sind national und europäisch also sehr wohl ein Problem - die Antwort kann natürlich nicht sein, die Exporte zu kürzen, sehr wohl aber die Binnennachfrage und die Binneninvestitionen in Deutschland zu stärken - langfristig ist auch hier gut für Deutschland was gut für Europa ist.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn ich mit Unternehmern aus Spanien, Italien oder Griechenland spreche, dann höre ich immer wieder: "Wir haben so viel gute Ideen, wir könnten unser Geschäft ausbauen, wir könnten mehr Beschäftigte einstellen - aber wir kriegen keine Kredite von der Bank. Und wenn wir Kredite bekommen, dann werden Garantien oder Bürgschaften verlangt, die niemand bringen kann, und die Zinsen sind so hoch, dass niemand sie bezahlen kann."

Viele KMUs nennen die Beschaffung von Krediten ihr größtes Problem - kein Wunder, da sie nicht börsennotiert sind und keine Anleihen ausgeben, sind Bankkredite ihre einzige Möglichkeit Geld auszuleihen. Keine Darlehen, das bedeutet keine Investitionen in den Maschinenpark, keine Neuanstellungen, keine Investitionen - keinen Aufschwung.

Um sich die Dimension des Problems klar zu machen, muss man sich nur folgende Zahlen anschauen: 67% aller Arbeitnehmer in Spanien arbeiten bei KMUs, in Italien sind es sogar 80%.

Das Kreditvolumen ist in der Eurozone seit Anfang 2010 um sechs Prozent gesunken.

In Deutschland und Frankreich stehen die Zinsraten derzeit bei 3%, in Spanien bei 5,4% und in Griechenland bei 6,6%. Zum Vergleich: Vor der Krise verlieh die EZB Geld für 2% und die Unternehmen bekamen Kredite mit 4% Zinsen.

Bei den aktuellen Zinssätzen bekommen die depressiven Volkswirtschaften genau das nicht, was sie am meisten brauchen: eine Geldspritze.

Die Zinssenkungen der EZB verpuffen bei diesen prohibitiven Zinssätzen. und das ist ein Skandal: Banken decken sich für quasi null Zinsen bei der EZB mit Geld ein, nur um es zu bunkern oder für sich selbst gewinnbringend anzulegen. Wir müssen wirklich prüfen, ob wir die Banken rechtlich dazu verpflichten können, das billige Geld zumindest anteilig an die Wirtschaft weiterzugeben.

Wir sollten grundsätzlich mehr über Alternativfinanzierungen nachdenken, vor allem für Investitionen in die Produktivwirtschaft. Etwa die Europäische Investitionsbank soll KMUs durch günstige Kredite mehr unterstützen. Wir brauchen kreative Antworten, die der Dimension des Problems angemessen sind. Denn, wie auch der IWF sagt: ein Aufschwung in Südeuropa wird ohne eine Wiederbelebung der Kredite ausbleiben Das wäre ein Desaster für Südeuropa. Aber auch deutsche Unternehmen brauchen den Aufschwung, wenn sie weiter ihre Güter nach Südeuropa verkaufen wollen.

Ja, auch bei der Kreditklemme gibt es ein gemeinsames europäisches Interesse - und eine europäische Lösung: eine einheitliche Bankenaufsicht und die Schließung maroder Geldhäuser, um die grassierende Vertrauenskrise im Banksektor zu überwinden. Eine Bank, die unter Altlasten ächzt, sich vor platzenden Krediten fürchtet, Abschreibungen entgegen sieht, die wird nur sehr zögerlich Kredite vergeben. Deshalb brauchen wir die Bankenunion, um die Kreditklemme zu beenden.

Man muss ehrlich sein: Das ist nicht leicht. Und das kostet Geld.

Aber nichts zu machen, wird mehr kosten. Mit jedem Tag, den die Krise andauert, steigen die Kosten für ihre Lösung. Mit jedem Tag, den die Bankenkrise andauert, drehen die Banken der Wirtschaft den Geldhahn für Investitionen ein bisschen mehr zu, zögert sich die wirtschaftliche Erholung weiter hinaus, werden die Staaten der Chance beraubt, ihre Schulden abzutragen, steigen die Arbeitslosenzahlen weiter.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Bankenunion ist ein historisches Projekt, in seiner Bedeutung nur mit dem Binnenmarkt vergleichbar.

Drei zentrale Ziele sollen durch sie verwirklicht werden:

  • den Teufelskreis zwischen Bankschulden und Staatsschulden sprengen.
  • eine schnellere Entschuldung und wenn nötig Re-kapitalisierung des Bankensektors sicherstellen.
  • Und die Steuerzahler schützen.

Derzeit gibt es besonders einen Punkt, den wir anpacken müssen: einen ordnungsgemäßen Rahmen für die Sanierung von insolventen Banken sowie den einheitlichen Mechanismus zur Bankenabwicklung.

In einer Haftungskaskade sollen Eigentümer, Gläubiger und Großanleger haften, bevor der Steuerzahler einspringt. Das ist richtig. Das ist gerecht. Banken retten Banken, das ist die Grundidee. Dafür soll ein Abwicklungsfonds aufgebaut werden, in den die Banken einzahlen.

Damit wäre die Bankenrettung endlich so weit wie möglich von den Staatshaushalten abgekoppelt, die toxische Verbindung zwischen Bankschulden und Staatschulden endlich durchbrochen.

Marode Banken könnten nicht länger andere Banken mit in den Abgrund reißen, Staaten in wirtschaftliche Schwierigkeiten stürzen und den Steuerzahler in Haftung nehmen. Nie wieder würden wir Fälle wie Spanien erleben - das vor der Krise als Musterschüler galt und eine niedrigere Staatsverschuldung aufwies als Deutschland!

Sehr geehrte Damen und Herren,

der nationale Blick mag zum Kurz-Schluss verleihen, dass es unfair sei, wenn Banken in einem Land für Banken in einem anderen Land gerade stehen müssen. Aber dieser nationale Blick verkennt, dass es sich in Wirklichkeit um eine Versicherung handelt, und dass es noch viel unfairer ist, wenn die Steuerzahler einspringen müssen; verkennt aber auch, dass Banken meist transnational leben, aber national sterben - und die Auswirkungen von Bankenpleiten nicht an Staatsgrenzen halt machen. Wir sind also gut beraten für dieses europäische Problem europäische Lösungen zu finden: eine europäische Aufsicht und einen europäischen Abwicklungsfond.

Jetzt stehen wir jedoch vor dem praktischen Problem, dass es einige Jahre dauern wird, bis ein Abwicklungsfonds tatsächlich eingezahlt und damit einsatzfähig ist.

Man kann sich das bildlich vorstellen, was passiert, wenn wir eine Abwicklungsbehörde, aber keinen Abwicklungsfonds haben. Im kommenden Jahr wird die EZB die Aufsicht über die Banken in der Eurozone übernehmen. Sie hat bereits begonnen, Stresstests und Bilanzprüfungen durchzuführen, um faule Kredite und zweifelhafte Vermögensposten aufzudecken. Das ist geboten, etwa in Italien sollen mehr als ein Zehntel der Kredite ausfallgefährdet sein - das Volumen notleidender Kredite ist auf 140 Milliarden Euro angeschwollen. Für den IWF eines der Hauptprobleme Italiens.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Stellen wir uns einmal vor, das Ergebnis eines solchen Stresstests wäre, dass eine sogenannte systemrelevante Großbank massive Probleme hat. Jetzt gibt es aber keinen arbeitsfähigen Abwicklungsfonds - es gibt also keine Instrumente und keine Mittel, um eine Re-strukturierung durchzuführen. Die EZB steht dann vor der schwierigen Entscheidung: Sollen wir publik machen, dass eine Großbank in Schieflage geraten ist, wissend dass ohne europäisches Auffangnetz eine Destabilisierung der Finanzmärkte droht?

Eine glaubwürdige Bankenaufsicht sieht anders aus...

Wir brauchen also eine Übergangslösung bis der europäische Abwicklungsfond einsatzfähig ist. Wie die aussehen soll, daran scheiden sich allerdings die Geister.

Es ist jetzt von nationalen Abwicklungsfonds die Rede. Das ist fair, sagt der nationale Blick. Führt aber zu Problemen, erkennt der europäische Blick. De facto haben wir dann nämlich wieder die Staatshaftung eingeführt. De facto haben wir dann das Erpressungspotential der Großbanken - das "Too big too fail" - wieder hergestellt. De facto zahlt dann wieder der Steuerzahler für Bankpleiten. Und dann muss man sich schon fragen, ob diese ganze Übung noch ihren eigentlichen Sinn erfüllt - eine von Banken getragene Versicherung anstatt eine Inhaftungsnahme von Staaten und Steuerzahlern mit fatalen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen.

Zumal sich auch die Frage stellt, ob Großbanken nicht durch ein System von 18 nationalen Fonds verleitet würden, ihre Filialen in jenen Ländern zu schließen, in denen eine schwache Absicherung droht. Das mag theoretisch klingen, ist aber bereits passiert. Zu Beginn der Krise machten Länder wie Polen und Ungarn die unangenehme Erfahrung, dass sich z.B. österreichische Banken aus den Nachbarländern zurückzogen. Geschähe das in südeuropäischen Ländern würde sich die dortige Kreditklemme weiter verschlimmern.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Der Zypern-Fall hat gezeigt: das aktuelle System funktioniert nicht: Es hat Monate gedauert, bis die Regierungen der Eurogruppe einstanden, dass das zypriotische Banksystem nicht mehr tragfähig war. Es hat ein Vermögen gekostet, zu retten, was vom zypriotischen Banksystem noch übrig war. Und hat bei den Menschen in Zypern ungeheure Wut erzeugt, weil sie das Gefühl hatten, Politiker aus anderen, nördlichen EU-Ländern würden die Spargroschen der Kleinsparer beschlagnahmen.

Die Position des Europäischen Parlaments ist klar: Eine bei der EZB angesiedelte Aufsicht und eine bei der Kommission angesiedelte Entscheidungskompetenz über die Schließung von Banken würden zu deutlich schnelleren und neutralen Entscheidungen führen. Aufsicht funktioniert nur effektiv, wenn die Abwicklung und Restrukturierung glaubhaft möglich sind.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ja, ich glaube, die ökonomisch-nationale Brille hat blinde Flecken, lässt uns nicht erkennen, dass es ein europäisches Interesse gibt, mit dem wir langfristig alle besser fahren - weil unsere Leben und unsere Wirtschaften untrennbar verwoben sind. Es ist nicht populär, das zu sagen. Für Politiker ist es ein Popularitätssteigerungsprogramm, wenn sie sich vor der eigenen nationalen Öffentlichkeit als Verteidiger nationaler Interessen gerieren.

Aber dafür zahlen wir alle einen hohen Preis.

Es tun sich neue Gräben auf in Europa: zwischen Nord und Süd, zwischen Gläubigerstaaten und Schuldnerstaaten, zwischen Euro-Mitgliedern und Nicht-Euromitgliedern.

Und alle fühlen sich als Verlierer.

Dieses Gefühl auf der Verliererseite in Europa zu stehen, ist ein Nährboden für Ressentiments, die wir bereits überwunden glaubten. Populisten machen sich dieses Gefühl zu nutzen.

Eine Internationale der Ultranationalisten wurde vergangene Woche gebildet. Im nächsten Europaparlament wollen die EU-Gegner eine eigene Fraktion stellen. Diese Rechtspopulisten verengen die nationale Perspektive zum ultranationalen Tunnelblick.

Ja, die Populisten sprechen das Bauchgefühl von vielen Menschen an, ein diffuses Unbehagen mit der als anonym empfundenen Macht Brüssel. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und aufgreifen, wollen wir neues Vertrauen gewinnen. Wir müssen mit möglichst vielen Menschen darüber sprechen, was ihnen am aktuellen Zustand der EU nicht gefällt und was sie ändern wollen. Wir müssen die EU verbessern.

Doch der ultranationale Tunnelblick der Rechtspopulisten suggeriert, der Rückzug in die nationalstaatliche Idylle als Insel der Glückseligen sei wünschenswert und machbar. Nur dagegen zu sein, nur "Nein" zu sagen, bringt niemanden in Arbeit und Brot; Simple Antworten wie "die Grenzen schließen" oder "den Euro abschaffen" lösen die hochkomplexen Probleme der Welt im 21. Jahrhundert nicht.

Niemand kann die Globalisierung zurückdrehen oder sich von der Welt abschotten. Ja, wir wollen die Nationalstaaten als Heimat behalten aber wir wissen auch darum, dass wir die EU als zusätzliches Schutz-Element brauchen:

Weil wir gemeinsam stärker und alleine schwächer sind. Weil wir im 21. Jahrhundert entweder alle gemeinsam gewinnen oder jeder für sich alleine verliert.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion mit Ihnen, lieber Herr Krach.