Rede von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei der Verleihung des Deutschen Elite-Mittelstandspreises der "Wir Eigentümerunternehmer" Stiftung an Manfred Weber

Met dank overgenomen van J.C. (Jean-Claude) Juncker i, gepubliceerd op donderdag 10 november 2016.

Meine Herren Präsidenten,

Exzellenzen,

Lieber Manfred,

Meine Damen und Herren,

und für viele hier im Saal, liebe Freunde. Und ich bin auch froh, so viele Freunde wiederum hier in Berlin treffen zu können.

Es ist dem glücklichen Zustand zuzuschreiben, dass ich sofort im Anschluss an diese Veranstaltung nach Brüssel muss, dass Sie heute Abend einen freien Abend haben und nicht hier erscheinen müssen. Und ich bin dankbar dafür, dass Sie es ermöglicht haben, dass wir uns heute Morgen schon sehen.

Ich bin als Senator einer der Ihren, und ich bin froh, heute eine Laudatio auf einen der Meinen halten zu können: auf meinen guten Freund Manfred Weber. Ich kenne Manfred Weber seit gefühlten Jahrhunderten, auch wenn er nicht so aussieht, weil er ist ja noch ein junger Mann mit hoffnungsschwangeren Zukunftsperspektiven und er ist vielerorts tätig. An Manfred Weber bewundere ich seine Fähigkeit, mit Eleganz, fast jeden Tag einen Spagat hinzulegen zwischen Bayern, der CSU, Deutschland, Europa, der CSU und der EVP, München, Berlin, Brüssel. Er ist ein Mann, der seit vielen Jahren schon auf allen Hochzeiten tanzt - ein begnadeter europäischer Tänzer ist Manfred Weber. Er tanzt so gut, weil er bodenständig ist und über Bodenhaftung verfügt, wie nur wenige in der Europäischen Union das von sich behaupten können. Und das wiederum hat damit zu tun, dass er seine Wurzeln nicht vergessen hat. Er weiß, wo er herkommt, niemand weiß, wohin er noch überall kommen wird, aber er hat nie vergessen, was seine Ursprünge sind. Die sind in seiner Familie begründet, die sind auch in dem mittelständigen Bereich begründet, in dem er lange Jahre tätig war. Er ist einer, der das große Ganze immer im Blick hat, der aber auch Detail-versessen und besessen ist. Er ist nicht jemand, der schwärmerisch über Europa redet, sondern der über Europa mit Sachkenntnis redet und nicht alle, die sich zu europäischen Fragen äußern, zeichnen sich durch besondere Sachkenntnis aus. Auf ihn ist Verlass. Er ist ein Mann des Wortes und eine Abmachung ist eine Abmachung, und ein Handschlag ist ein Handschlag. Und das ist eine Eigenschaft über die auch nur noch wenige verfügen, weil - Handschlag hin oder her - es gibt zu viele, die den Populisten nachlaufen und die Populisten nachäffen. Und ich kann die klassischen Parteien auch hier in der Republik nur davor warnen, sich den Populisten anzuschließen. Populisten äfft man nicht nach, Populisten muss man sich in den Weg stellen, weil sonst geht Europa schweren Zeiten entgegen.

Deshalb ist die Wahl, die auf Manfred Weber fiel, auch die einzig glückliche Wahl dieser Woche. Wir sollten allerdings jetzt nicht in den Fehler verfallen, als Europäer meine ich, uns von den Vereinigten Staaten von Amerika zu entfernen. Die Freundschaft, die Werteverbundenheit - diesseits und jenseits des Atlantiks - reicht tiefer und ist fester als kleinere Vorgänge, die im Lichte und im Rückblick der Geschichte nicht so demonstrativ massiv erscheinen, wie es heute den Eindruck haben könnte. Wir müssen mit den Amerikanern nicht nur leben, sondern auch mit ihnen zusammenarbeiten. Wir wollen mit den Amerikanern zusammenarbeiten, und wir müssen mit den Amerikanern zusammenarbeiten, aber wir müssen dies auf gleicher Augenhöhe tun. Und wir erwarten von dem designierten amerikanischen Präsidenten, dass er Klarheit über seine Absichten schafft. Wir möchten wissen, wie es mit der globalen Handelspolitik weitergeht; wir möchten wissen, welche Bündnis-politischen Absichten Herr Trump hat; wir müssen wissen, welche Klima-politischen Absichten Herr Trump umtreiben. Und all dies muss in den nächsten Monaten geklärt werden. Nicht dass wir als Europäer jetzt einen Forderungskatalog nach Washington schicken würden, aber wir müssen Klarheiten über die Absichten unseres strategisch wichtigsten Partners in der Welt haben, und darauf werden wir auch hinwirken.

Manfred Weber, ich habe gesagt, auf ihn ist Verlass, und der deutsche Mittelstand kann sich auch auf ihn verlassen, weil immer wann wir in Brüssel oder in Straßburg oder sonst wo zusammensitzen, wenn wir uns über die wirtschaftspolitischen Probleme Europas und auch der Regierungen Europas unterhalten, ist er jemand, der das Augenmerk auf die besonderen Belange der mittelständigen Unternehmen zieht. Er weiß, wie wichtig der Mittelstand, auch und vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, ist. Die deutsche Volkswirtschaft verdankt der mittelständigen Verfasstheit, seiner Hauptstrukturen, sehr viel.

Und der deutsche Mittelstand, was wenige wissen, ist auch im Bereich des Auslandsgeschäftes überaus tätig und aktiv und rührig. Der Umfang der Handelsbeziehungen, die von mittelständischen Betrieben mit dem Rest der Welt im Jahre 2015 entstanden sind, beläuft sich inzwischen auf EUR 366 Milliarden, EUR 10 Milliarden mehr als noch letztes Jahr. Das zeigt, dass der Mittelstand über den Tellerrand hinaus blickt und sehr wohl weiß, dass, wer etwas werden will, es zusammen mit anderen herbeiführen muss.

Und deshalb sind auch diese Handelsabkommen, die die Europäische Union schließt, von existenzieller und vitaler Bedeutung. Es gehört zu den Verirrungen unserer Zeit, dass man denkt, man könne sich in den eigenen Räumen einschließen. Man muss wissen, jede Milliarde mehr Umsatz im Export in den Rest der Welt schafft 14 000 Arbeitsplätze. Man muss wissen, dass 31 Millionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union direkt vom Außenhandel abhängen. Man muss wissen, dass wenn wir den Anspruch weiterhin erheben möchten, die Globalisierung zu gestalten, anstatt sie nur zu erdulden und zu erleiden, dann müssen wir uns ins Benehmen setzen mit Handelspartnern in der ganzen Welt. Die Europäische Union verfügt über 140 Handelsabkommen, und nur über zwei wird öffentlich diskutiert und debattiert. Das Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, sehe ich nicht als etwas, was in den nächsten zwei Jahren passieren würde. Und das Handelsabkommen mit Kanada: Ich bin sehr erstaunt, dass wenn wir ein Handelsabkommen mit Kanada abschließen, wir in nicht enden wollenden Debatten in Europa und auch in Deutschland uns ergehen. Wir haben Handelsabkommen mit fast allen Diktaturen der Welt. Wir sind dabei, ein Handelsabkommen mit Vietnam abzuschließen. Es ist doch erstaunlich, wenn wir mit der kanadischen Demokratie ein Handelsabkommen abschließen, dass dann gemault und gemeckert wird, und wenn wir mit dieser Vorzeigedemokratie Vietnam das Gleiche tun, dann meldet sich niemand zu Wort. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, über so viel Geschichtsvergessenheit, die auch in der Publizistik, der europäischen, immer wieder zu bewundern ist.

Und wenn wir mit dem Rest der Welt Handel und Wandel betreiben, dann müssen wir uns selbstverständlich intern in Europa anders, das heißt besser, aufstellen als dies zurzeit der Fall ist. Ja, die Europäische Zentralbank macht nicht alles richtig. Ich habe nur gelernt bei Theo Weigel, bei Wolfgang Schäuble, bei Helmut Kohl, bei Angela Merkel, dass ein Politiker nie - vor allem jemand, der im Finanzbereich politisch aktiv ist - sich zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank äußern soll. Theo Weigel hat gesagt: Das darfst Du nicht, lass das sein. Und jetzt, jetzt bin ich eigentlich der Einzige, der den Mund hält, weil alle anderen dauernd der Europäischen Zentralbank ins Zeug reden. Solange die EZB genau das tat, was in Deutschland von ihr erwartet wurde, wurde uns von der deutschen Politik bedeutet, dass wir das nicht zu kritisieren hätten. Jetzt macht die Europäische Zentralbank nicht genau das, was viele Deutsche möchten, und jetzt ist Kritik an der Europäischen Zentralbank erlaubt. Ich bin auch dafür, dass man über Geldpolitik kontrovers diskutiert, aber das kann nicht nach Laune passieren. Das müsste dann ein Dauerzustand werden, wo die Europäische Zentralbank in die Pflicht genommen wird. Im Übrigen, wenn es die Europäische Zentralbank nicht gäbe, und die Europäische Zentralbank nicht in großen Teilen die richtige Politik zur Anwendung gelangen ließe, dann wäre es um die europäische Wirtschaft schlecht bestellt, weil die Privatinitiativen, die immer eingeklagt werden, die finden nur in sehr kleinem Maße statt. Und die Strukturreformen, die es in den Ländern braucht, um es der Europäischen Zentralbank überhaupt zu erlauben, das zu tun, was sie dabei ist, zu tun, sind klein und mickrig geblieben. Wir sind Strukturreform-müde geworden in der Europäischen Union, und das sage ich ausnahmslos für alle Länder der Europäischen Union. Nicht die Griechen haben das Rentenalter nach unten korrigiert. Und der einzige Flughafen weltweit, der nur auf dem Landweg zu erreichen ist, der ist hier, und nicht in Athen. Stellen Sie sich einmal vor, der wäre in Athen, was da an Häme über die Griechen ausgeschüttet würde. Die Griechen, die von vielen in Europa schlecht behandelt wurden. Ich sage: Griechenland ist eine große Nation, ein schwacher Staat, ein zu schwacher Staat. Aber viele Griechen, die leiden unter der Krise mehr, als wir uns hier vorstellen können. Und dort wurden viele Reformen durchgeführt, die, wären sie in Paris oder in Deutschland durchgeführt worden, die Straßen gefüllt hätten mit demonstrierenden und protestierenden Menschen. Insofern, die Griechen verdienen auch unseren Respekt. Ich rede nicht von den griechischen Regierungen - ich habe da alles erlebt, was man erleben kann. Aber ich rede von dem Durchschnittsgriechen, den man auch lieben muss, wenn man versucht, die Dinge in Europa richtig zu gestalten.

Und weil wir uns anders aufstellen müssen, kam es sehr darauf an, dass zu Beginn der Amtszeit dieser Kommission wir das Thema Investitionen aufgegriffen haben. Wir haben immer noch in Europa 15% weniger Investitionsvolumen als im Vorkrisenjahr 2007. Wir befinden uns immer noch in einer regelrechten Investitionspanne, und deshalb habe ich den Europäischen Fonds für Strategische Investitionen Wochen nach Amtsantritt - und gemeinsam mit Manfred Weber, der mir im Europäischen Parlament geholfen hat, diesen Plan auf den Weg zu bringen - vorgeschlagen. Weil dieser Plan mit dazu beiträgt, dass die Investitionsmängel in der Europäischen Union behoben werden können. Ganz zu Anfang hieß dieser Investitionsplan Juncker-Plan. Ich habe ihn nicht so genannt. Andere haben das getan, weil sie den identifizieren wollten, der schuld daran ist, wenn das Ganze nichts wird. Jetzt läuft dieser Plan gut, und wie haben Sie so schön heute Morgen gesagt? Anstatt Juncker-Plan zu sagen, haben Sie gesagt: Europäischer Fonds für Strategische Investitionen. Es ist aber genau dasselbe. Und deshalb kann ich nur davor warnen, dass man sich zurücklehnt--auch auf deutscher Seite - wenn es darum geht, Nutzen zu ziehen aus diesem Investitionsvorhaben europäischen Zuschnittes. Dieser Plan hat bis heute, indem er EUR 22 Milliarden öffentliches Geld in die Hand nahm, Investitionen von EUR 138,3 Milliarden zur Folge gehabt. 300 000 mittelständische Betriebe haben Zugang - Start-Ups und andere, junge Unternehmen - zu Kapital, das sie ohne diesen Plan nicht hätten. 134 größere Infrastrukturprojekte werden mit den Mitteln dieses Planes finanziert. Und ich glaube die Zahl, die Sie genannt haben - in Deutschland 700 Millionen - die ist nicht richtig. Das ist deutlich mehr. Und die Kommission verteilt diese Gelder nicht. Die Europäische Investitionsbank tut das, weil ich sehr großen Wert darauf gelegt habe, dass nicht die Kommission diesen Investitionsplan umsetzt, sondern eine öffentliche Bank, die nah an der realen Wirtschaft ist. Die Kommissare, die Generaldirektoren der Kommission, allesamt - wenn auch unterschiedlich - sehr tüchtig, kennen das Geschäft nicht. Und deshalb sucht die Europäische Investitionsbank die Projekte aus, die so risikobehaftet sind, dass sie nicht realisiert werden könnten, wenn es diesen Plan und seine Finanzierungsmechanismen nicht gäbe. Insofern bin ich mit dem, was bislang erreicht ist -40% des angestrebten Volumens sind schon mobilisiert worden - sehr zufrieden. Und deshalb schlagen wir auch vor, die Volumina dieses Planes zu verdoppeln von 315 auf 630 Milliarden, wovon bis ins Jahr 2020, 500 Milliarden mobilisiert werden müssen, und auch mobilisiert werden können. Investitionen allein reichen nicht, obwohl es auch in Deutschland erhebliche Investitionslücken gibt -auch im Verkehrsbereich, im Straßenbau, etcetera.

Wir brauchen auch eine solidere Haushalts- und Finanzpolitik. Ich gehöre nicht zu denen, die Stabilitätsfanatiker wären. Ich mag auch kein Stabilitätsgesäusel - das führt zu überhaupt nichts. Aber ich bin dafür, dass wir die Regeln, die wir haben, dass wir diese Regeln auch einhalten. Nun wird die Kommission pausenlos beschuldigt, genau das nicht zu tun. Das hat wiederum damit zu tun, dass kaum noch jemand die Regeln kennt. Der Stabilitätspakt, das sind inzwischen eng bedruckte 300 Seiten, mit vielen Grafiken, mit vielen Vergleichen, die kein Mensch versteht. Aber jeder spricht darüber. Ich auch, ich verstehe auch nur noch die Hälfte dessen, was wir an Stabilitätsgeflecht zusammengetragen und zusammengebastelt haben. Aber diesen Stabilitätspakt muss man auch mit Flexibilität zur Anwendung bringen. Mit Ausnahme von Luxemburg und Estland, gibt es kein Land, das sich bislang immer an den Stabilitätspakt hielt, und es gibt auch zurzeit kein einziges Land - mit Ausnahme Luxemburgs und Estlands -, das den Stabilitätspakt vollumfänglich respektiert. Weil auch die größte Volkswirtschaft verfügt über ein Staatswesen, das mit weit über 60% verschuldet ist, respektiert also die Vertragsauflagen und die Stabilitätsauflagen auch nicht in dem Maße, wie viele hier im Lande denken, dass sie das täte. Nun ist der Vorteil der deutschen Volkswirtschaft der, dass die Deutschen aber ihre Schulden zurückbezahlen können, weil die Wirtschaft eben funktioniert. Auch im Übrigen dank des kräftigen Mittelstandes, der dieser Volkswirtschaft das eigentliche Rückgrat gibt, sowohl beschäftigungspolitisch als auch investitionsmäßig betrachtet. Andere Länder, die höher verschuldet sind als die Bundesrepublik, können aber ihren Schuldendienst nicht mehr leisten. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen einem Schuldenstand in einer florierenden Volkswirtschaft - das muss von der deutschen Volkswirtschaft zurzeit gesagt werden - und sich in einer Dauerkrise befindlichen anderen Volkswirtschaftsräumen.

Aber dass wir Flexibilität zur Anwendung bringen, das muss sein. Darüber habe ich mit meinem Manfred Weber Dauerkrach. Also nicht nur Krach, sondern Dauerkrach, weil er nicht versteht, dass Flexibilität kein Abschied von Stabilität bedeutet, sondern intelligentes Anwenden eines Regelwerkes, das wir uns gemeinsam an die Hand gegeben haben. Ich sage in Sachen Italien beispielsweise - weil ich da auch oft Streit mit Matteo Renzi habe, sogar gestern Abend nach der Veranstaltung im Konrad-Adenauer-Haus, hat er mit mir streiten wollen. Italien hat ein enormes Flüchtlingsproblem. Hunderttausende Flüchtlinge landen in Italien, werden aus dem Mittelmeer von Schiffen und Booten aller Nationalitäten aufgefangen, gerettet - 400 000 allein im letzten Jahr und werden nach Italien gebracht. Und wenn sie in Italien sind, sagen wir: okay, die sind jetzt in Italien, das Problem ist geregelt. Griechenland idem. Jetzt sitzen noch 60 000 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln fest und viele von uns sagen, einige Staaten, einige Regierungen: Was geht uns das an? Wir können die Italiener und die Griechen nicht mit diesen Problemen alleine lassen, nur weil der Zufall der Geographie sie an die Außengrenzen der Europäischen Union gebracht hat.

Wir haben uns jetzt darauf verständigt, den Außenschutz der Grenzen zu verstärken. In jeder dritten Rede wird verlangt, Europa muss seine Außengrenzen schützen - das wurde inzwischen gemacht. Ab 1.Dezember wird das neue System laufen; auch dort hat Manfred Weber uns sehr geholfen, dies über die parlamentarischen Hürden zu bringen. Ja, es ist wahr, die Balkanroute ist de facto geschlossen. Aber es reicht nicht, die Balkanroute zu schließen, wenn wir es parallel dulden, dass 100 000 Flüchtlinge, aus der Türkei herkommend, auf den griechischen Inseln landen, und dort versuchen, nach Nordeuropa weiter zu ziehen. Ich streite mich nicht gerne mit Flüchtlingen - das sind Menschen, denen man helfen muss, falls es gute Gründe gibt, wieso und weshalb sie den Weg nach Europa angetreten haben. Aber was nicht geht, ist dass die Flüchtlinge selbst darüber bestimmen möchten, wo sie in Europa - um einen schrecklichen Terminus zu gebrauchen - "relokalisiert" werden. Das geht nicht. Wenn wir eine solidarische europäische Flüchtlingspolitik möchten, dann müssen wir auch den Flüchtlingen sagen dürfen, wo sie, wenn sie in Griechenland oder sonst wo gelandet sind, den Rest ihrer Asylzeit in Europa verbringen. Ich habe komische Erfahrungen gemacht. Die luxemburgische Regierung, damit habe ich nichts mehr zu tun - das tut dem Land auch gut, dass ich nichts mehr damit zu tun habe - hat angeboten, ganz zu Anfang der Krise, 50 Flüchtlinge aus Griechenland nach Luxemburg zu fliegen. Es hat kein einziger sich gemeldet. Und als dann Flüchtlinge namhaft gemacht wurden, wollte niemand in ein Flugzeug steigen, um in dieses "Armenhaus" Luxemburg zu fliegen. Erst als wir gesagt haben, Luxemburg liegt sehr nahe an der deutschen Grenze, füllte das Flugzeug sich langsam. Und die Flüchtlingslager in Luxemburg haben sich dementsprechend darauf eingestellt, dass die Menschen nur für sehr kurze Zeit kommen, und dann sind sie auf der Wanderschaft nach Trier und nach Saarbrücken. Das geht auch nicht, meine Damen und Herren; dass wenn wir solidarisch verteilen, dass dann nicht mehr die Regierungen zuständig sind für die Verteilung, sondern die Flüchtlinge mit all ihren Schleppernetzen und kriminellen Strukturen, die es inzwischen da gibt. Wer Solidarität verlangt, muss auch zu Solidarität bereit sein. Und ich kann die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung eigentlich nur loben, obwohl ich weiß, dass sie heftigst umstritten ist. Wenn in der bestimmen Septembernacht 2015 - als die Menschen in Budapest, in Wien und sonst wo, versuchten, sich aus ihrer Lage zu befreien - man einfach nein gesagt hätte, dann muss man sich einmal vorstellen, was dann passiert wäre. Jetzt wissen wir, was schief lief mit dieser Willkommenspolitik. Obwohl die Deutschen da beherzt mitgemacht haben - das muss man doch noch in Erinnerung rufen dürfen - jetzt wissen, was daran, in dieser Sache, in dieser Richtung schief lief. Aber wenn die andere Politik gemacht worden wäre, dann wäre auch vieles schief gegangen. Und darunter würden wir bis heute leiden. Insofern war das schon, wie ich finde, die richtige Politik.

Also während in Deutschland vieles richtig gemacht wird, wird in Europa vieles falsch gemacht. Und den größten Fehler, den wir in der Vergangenheit in Europa gemacht haben, war der Fehler, dass die Europäische Union und die Europäische Kommission ihre Nase in jedes tagtäglich wirkende Detail europäischer und dann nationaler Regelungen steckte. Ich habe zu Anfang unserer Mandatszeit gesagt: Europa muss sich um die großen Probleme unserer Zeit kümmern - to be big on big and small on small. Das hat auch das Europäische Parlament gemocht. Aber jetzt mögen viele das nicht mehr, weil wir jetzt diese Detailregelungsversessenheit einfach ad acta gelegt haben. Wir haben hunderte Gesetzesentwürfe, die dem Gesetzgeber vorliegen, überprüft, und viele abberufen. Wir schicken pro Jahr 23 neue Initiativen auf den Gesetzesweg, während die Vorgängerkommission 130 Gesetzesinitiativen pro Jahr ergriff. Und wir haben die Regulierungsdichte um 80% abgesenkt. Das hindert natürlich niemanden daran, das immer noch einzuklagen. Aber es ist gemacht, und das wird nicht wirklich zur Kenntnis genommen.

Ich hatte jetzt vor Wochen eine spannende Debatte in der Kommission - und Manfred, die werden wir auch im Parlament haben -, weil ich nicht par ordre du mufti, sondern aus guten Gründen, mitverfügt habe, dass wir uns nicht mehr um Toilettenspülungen in Europa kümmern, dass wir die Hände von den Duschköpfen weglassen, und dass die Ölkännchen so hingestellt werden dürfen, wie die Menschen das immer gemacht haben. Jetzt erlebe ich, dass einige Menschen, die davon erfahren haben, sagen: "Das ist gut". Und ich erlebe, dass ganze Industrieverbände anstürmen, und sagen: "Nein, nein, nein. Das muss in einem Binnenmarkt normiert werden". Und wenn es normiert ist, dann ist die Kommission diejenige, die dieses Verbrechen wiederum begangen hat, und niemand meldet sich zu Worte, der eigentlich ursprünglich daran beteiligt war.

Es gibt jetzt einen Richtlinienentwurf, den habe ich gestoppt, über die Höhe der Stöckelschuhe der Friseusen in ganz Europa. Das ist nicht eine Eingebung, die die Kommission im Schlafe übermannt hätte - das ist ein Abkommen, das zwischen den mittelständischen europäischen Vertretungen und den europäischen Gewerkschaften abgeschlossen wurde. Jetzt habe ich das gestoppt, und jetzt habe ich Krach mit den europäischen Gewerkschaften, massiven Krach, weil wir den Richtlinienentwurf für die Stöckelschuhe gestoppt haben. Und jetzt habe ich gesagt, also dann sollen BusinessEurope, andere, und die europäischen Gewerkschaftsbünde mir bitte einen Brief schreiben, und die Kommission auffordern, genau das zu tun - nämlich die Stöckelschuhe zu regeln - mit einer Kopie an jeden Abgeordneten des Europäischen Parlamentes und an die Bild und an die Kronen Zeitung, damit das auch überall richtig verstanden wird.

Nun hat das alles mit Manfred Weber zu tun, weil ich mich mit ihm ja über derartige Dinge nicht im Dauerstreit, sondern in ausgeprägter Komplizität Woche für Woche unterhalte. Und Manfred Weber ist deshalb ein guter Preisträger, weil er von seiner Struktur her, von seiner Einstellung, von seiner -- nicht Weltanschauung - aber von seiner Sicht auf die Dinge, dem deutschen Mittelstand sehr ähnlich ist: nicht sich zurückziehen auf bekanntes Gebiet, sondern mit der Kraft des Mutigen auch Märkte im Ausland erobern.

Manfred Weber ist ein Glücksfall für die europäische Politik, weil er - ich habe es schon erwähnt -sich auch im Detail auskennt, und weil er die großen Linien dessen, was seine europäischen Überzeugungen ausmacht, nie aus dem Blick verliert. Ein Glücksfall für die europäische Politik; ein Glücksfall aber auch für die deutsche Politik. Du bist ein Preisträger, der diese Auszeichnung in vollem Umfang verdient hat. Bleib so wie Du bist, und streite nicht mehr so viel mit mir.

Vielen Dank.

SPEECH/16/3660